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Predigt von Erzbischof Zollitsch am 11.04.2009

Feier der Osternacht im Münster Unserer Lieben Frau, Freiburg

Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens!

Es ist noch dunkel, als Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome sich zum Grab Jesu aufmachen. Sie gehen vor Anbruch des Tages, um ihren Rabbi, ihren Meister zu salben; um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Sie wollen sich verabschieden von dem, auf den sie ihre Hoffnungen gesetzt haben; sie wollen dem Lebewohl sagen, dem sie gefolgt sind, für den sie ihr gewohntes Leben verlassen und ganz neu angefangen haben. Sie haben mit dem Tod Jesu von Nazareth ihre Hoffnung, die Welt zum Besseren zu gestalten, zu Grabe getragen. Auf ihrem Weg und in ihren Herzen herrscht Dunkelheit: "Finsternis lag über allem" (Gen 1).

Auch wir haben uns in der Dunkelheit aufgemacht und sind hierher gekommen, um uns vor Gott zu versammeln. Wir feiern eine Nacht, die Osternacht. Nächtlichen Liturgien kommt eine herausragende Bedeutung im Leben von uns Christen zu, wie ein Blick in das Kirchenjahr zeigt. In verschiedenen Feiern begegnen wir dem Phänomen "Nacht" immer wieder.

Erst vor wenigen Wochen haben wir zu Beginn des Kirchenjahres die H e i l i g e Nacht miteinander gefeiert: Die Nacht, in der Jesus, der Heiland der Welt, der Messias, geboren wird. Gott wird Mensch in dunkler Nacht. Gott ist in unsere Welt gekommen; Jesus Christus zeigt uns, wie wir menschlich leben können: Weihnacht ist die Nacht, in der das neue Leben beginnt.

Am Gründonnerstag gedachten wir "der Nacht, in der der Herr verraten wurde". Jedes Mal, wenn wir Eucharistie feiern, erinnern wir daran, wie Jesus Christus der Kirche beim Abendmahl das Sakrament der Eucharistie als bleibendes Vermächtnis hinterlassen hat. Wir haben im Münster in dieser Nacht miteinander gebetet, dem Auftrag Jesu Christi folgend: "Wachet und betet!"(vgl. Mk 14,34)

Schon hier zeigt sich: Nacht ist mehr als eine Uhrzeit. Das erleben wir besonders deutlich am Karfreitag: Er ist geprägt von der dunklen Nacht des Todes. Von jener Dunkelheit, die uns Menschen den Blick verstellt, die keinen Durchblick mehr zulässt. Es ist die Nacht, die uns umfängt und lähmt, deren Schwärze jede Hoffnung verschluckt; die Finsternis, die unsicher und ängstlich macht. "Nacht" ist das Symbol für alle Dunkelheit im Leben von uns Menschen und alle Finsternis in der Geschichte der Welt mit aller Angst, den Sorgen, der Not, dem Leiden und den Schmerzen.

Unsere Nacht ist dort, wo wir die Orientierung verlieren, weil alles um uns dunkel scheint. Wir fühlen uns allein und ohnmächtig, wo die Krise der Weltwirtschaft – verursacht weitab von uns an internationalen Finanzhandelsplätzen – Einfluss auf unser Leben nimmt. Die Unsicherheit und Dunkelheit der Krise ziehen auch bei uns in die Häuser der Menschen ein. Viele sehen ihre Zukunft – und die ihrer Kinder – im Finstern liegen; viele Menschen bangen um ihren Arbeitsplatz. Viele Menschen machen in diesen Tagen die Erfahrung von Dunkelheit und Nacht, in der wir fragen: "Wächter, wie lange noch dauert die Nacht?" (Jes 21,11) Wo Ehen scheitern, sehen die Partner oft kein Licht mehr. Finsternis umgibt jene, die die Nacht des Todes durchleben mussten. Wer einen geliebten Menschen verloren hat, kennt das Gefühl, jemand hätte ihm einen Schatten auf die Seele gelegt. Unsere Dunkelheit ist Realität und sie hat ihren Platz in unserer Gemeinschaft des Glaubens.

Und doch: wir feiern nicht das ganze Jahr Karfreitag! Kirche bleibt nicht am Karfreitag, in der Nacht, stehen! Nein, wir feiern vielmehr das ganze Jahr Osten!

Heute feiern wir die Oster-Nacht. Wie die Frauen kommen wir durch die Nacht; wie sie haben wir am Karsamstag die Stille des Grabes aushalten müssen. Die Frauen erreichen das Grab, als die Sonne gerade aufgeht. In ihrem Licht erfahren sie das Ungeheuerliche: Jesus ist nicht im Tod geblieben! Er ist nicht von der ewigen Nacht umfangen; Gott selbst überstrahlt die Finsternis des Todes! Wir feiern die Osternacht als die Nacht, in der das Dunkel dem Licht weichen muss; die Nacht, in der die Ketten des Todes zerbrochen werden und den Trauernden Freude geschenkt wird. Deshalb ist der Tod für uns nicht mehr das ewige Dunkel, sondern nur ein Durchgang, der Durchgang zu neuem Licht! Das feiern wir, die Gemeinschaft des Glaubens, jeden Sonntag aufs Neue: das Geheimnis der Auferstehung; das Pascha-Mysterium am achten Tag (vgl. SC 104); Ostern.

Ostern übergeht nicht die schlaflosen Nächte voll Sorge, Kummer und Trauer. Weil Jesus der Macht der Finsternis die Stirn geboten hat (Lk 22,53), brauchen wir den menschlichen Nacht- und Schattenseiten nicht auszuweichen oder sie zu verdrängen. Osternacht lädt ein zur Begegnung mit der Dunkelheit in der Liturgie und in unserem Leben. Wir vollziehen nach, wie die Frauen im Dunkeln zum Grab Jesu gehen. Sie erblicken im Licht der aufgehenden Sonne, dass das Grab leer ist – uns leuchtet die Osterkerze, die wir in die dunkle Kirche hereingetragen haben. Sie ist das Symbol für Jesus Christus, den Auferstandenen, das Licht unseres Lebens selbst. Ihre Flamme bringt uns Orientierung in der Dunkelheit; ihr warmes Licht zieht unsere Augen an. Ihr Licht zu empfangen, darauf warten wir – denn es geht uns nicht darum, selbst unser kleines Licht anzuzünden. Wir warten auf das große Licht, auf das Licht Jesu Christi. Wir wissen: unsere Geduld ist geborgen in Jesus Christus. Er schenkt uns sein Licht, das niemand mehr auslöschen kann. Es geht nicht darum, selbst unsere Dunkelheit zu verscheuchen; uns abzulenken und kleine Funzeln von schnell verglühendem Spaß aufzustellen: Ostern ist mehr. Der Glaube an die Auferstehung Christi schenkt uns das Licht, das niemals ausgeht. Den Glanz, den wir uns nur schenken lassen können. Denn Gott selbst schenkt uns sein Licht.

Das erlebten wir, als sich der Schein der Osterkerze ausbreitete. Wir gaben ihr Licht von Kerze zu Kerze, von Mensch zu Mensch, weiter: "Wenn auch ihr Licht sich in die Runde verteilt hat, so verliert es doch nichts von der Kraft seines Glanzes", hörten wir im Exsultet, dem feierlichen Osterlob der Kirche, das seit anderthalb Jahrtausenden den Jubel der Osternacht verkündet. Und dann, als es soweit war und wir das Gloria anstimmten, wurde die ganze Kirche hell: die Finsternis der Nacht ist vertrieben, die Stille des Grabes ist aufgebrochen im Jubel. Die Orgel, die seit Gründonnerstag geschwiegen hat, stimmte ein in unseren Gesang: Gloria in excelsis Deo! – Ehre sei Gott in der Höhe!

"Dies ist die Nacht!" sang der Diakon im Exsultet. Die Nacht ist hell geworden! Keine Nacht war je zuvor wie diese! In ihr ist "auch die Finsternis nicht finster, die Nacht leuchtet wie der Tag, die Finsternis ist wie Licht." (vgl. Ps 139,12; Exsultet) Gott hat ein für allemal gezeigt: Der Tod setzt seiner Liebe keine Grenzen. Gott will mit uns, seinen Töchtern und Söhnen, sein – davon kann ihn keine Macht des Todes abhalten. Seine Liebe umfängt jede und jeden von uns.


In der Heiligen Nacht ist Gott Mensch geworden und hat sein Licht in die Finsternis der Welt gesetzt. Mit seinem Tod ist dieses Licht nicht erloschen, wie die Frauen fürchteten. Jesu Tod ist nicht das Ende. Sondern durch den Tod hindurch führt Jesus Christus uns zu neuem Leben. Durch diese Nacht hindurch schenkt Jesus Christus, der auf unserer Erde gelebt hat, uns Anteil an dem Leben in seinem Reich. Durch seine Auferstehung wird die Nacht taghell.

Als Gott Mensch wurde, hat er gezeigt, dass er uns Menschen liebt. Mit der Auferstehung seines Sohnes hat er gezeigt, dass seine Liebe unendlich ist – ja, dass er selbst die Liebe ist! (vgl. 1 Joh 4,16) Was an Weihnachten als ein Leuchten in dunkler Nacht begann, wird in dieser Osternacht zum Strahlen, das allerorten das Dunkel schwinden lässt. Wer Ostern feiert, stellt sich inmitten der Nacht in das Licht, das von Gott kommt. Er darf wissen, dass das Angst machende Dunkle keine Macht mehr über ihn hat (vgl. Kol 1,13), weil er zum Licht des Glaubens berufen ist (1 Petr 2,9; Apg 26,18). Es gibt keine Verzweiflung, keine Depression, keine Sorge und keine Angst mehr, die nicht von Gottes Liebe erleuchtet werden könnte – wenn wir ihn wirken lassen.

Unser ganzes Leben ist durchleuchtet von dem Glanz des Auferstandenen. Wir sind, so weiß der Apostel Paulus, "durch die Taufe auf seinen Tod mit ihm begraben, und sollen durch die Herrlichkeit des Vaters als neue Menschen leben." (vgl. Röm 6,4). Die Taufe schenkt uns neues Leben: österliches Leben. Die Dunkelheit des Herzens und die Finsternis der Welt sind überwunden, weil Jesus Christus mit jedem und jeder von uns mitgeht. Wo wir auch sind – wir sind nicht mehr allein. Jesus Christus schenkt uns sein Licht und seine Nähe – hier und über den Tod hinaus. "Dies ist die Nacht, in der Christus die Ketten des Todes zerbrach" – er ist auferstanden, um bei uns zu sein.

In der Taufe haben wir den neuen Lebensgrund geschenkt bekommen. Uns ist eine persönliche Bindung an Jesus Christus gegeben, wie man sie sich nicht inniger vorstellen kann (1 Kor 1,13). Unsere ganze menschliche Existenz ist vom Auferstandenen her geprägt; er selbst will unser Freund, unser Vertrauter, der Grund unserer Hoffnung sein. Er ist gegenwärtig in der Feier dieser Osternacht; er ist bei uns in unserem Alltag, in unserer Freude und auch in unserer Finsternis. Wir leben "mit ihm" (Röm 6,5.8), denn Jesus Christus geht uns voraus dahin, wo wir leben, wo wir lachen, wo wir uns sorgen, wo wir nach seinem Bild Mensch sein wollen. (vgl. Mk 16,7) Keinen Weg, weder den glücklichen noch den sorgenvollen, und selbst den Weg in den Tod, lässt uns Gott gehen, den er nicht selbst gegangen wäre und auf dem er uns nicht voranginge. (Dietrich Bonhoeffer) Wir alle erinnern uns in der Erneuerung unseres Taufversprechens an unsere österliche Existenz. Und ich freue mich, dass wir heute, in dieser Nacht, Frau Janine Böhm durch die Taufe in die Gemeinschaft des Glaubens aufnehmen werden. Die Taufe ist das Geschenk, das in unserem eigenen Leben Ostern anbrechen lässt. Wir sind getauft auf Jesu Tod, um in Christi Auferstehung zu leben. Ich lebe im Licht; ich lebe im festen Glauben daran, dass ich für die Sünde gestorben bin, aber für Gott lebe in Christus Jesus. (vgl. Röm 6,11)

Das Licht von Ostern sprengt die private, heimelige Atmosphäre; es will die Welt erhellen und erleuchten; es will der Welt Orientierung geben, wo es an Durchblick fehlt und sich Angst und Dunkelheit breit machen wollen. Weil Jesus Christus kam, "um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes" (Lk 1,79), sehen wir im Licht von Ostern die Welt und die Menschen mit anderen Augen. Im Licht Jesu erkennen wir im Gesicht des anderen den Bruder, die Schwester, im Fremden den Freund.

Ostern feiern hat Konsequenzen: Unsere Berufung, als Kinder des Lichtes zu leben (Eph 5,8), zeigt sich darin, dass wir dieses Licht nicht für uns behalten, sondern uns vom Auferstandenen senden lassen, dorthin, wo Menschen einsam und traurig sind, wo Verzweiflung und Angst ist, es dunkel ist bis hin zur Nacht des Todes. Das Geschenk der Taufe bringt Licht in die Dunkelheiten des Lebens.

Wir feiern Osternacht. Diese Feier lässt uns innehalten, denn es ist Zeit des Heils. Das Licht dieser Nacht weist uns den Weg, schenkt Orientierung, hilft, den anderen zu erkennen und uns selbst. Es ist Wärme, die Kraft gibt und in Bewegung bringt. Es tröstet und macht froh, denn es legt Zeugnis ab vom Leben.

In der Nacht kommen wir zur Liturgie zusammen – mit der Erfahrung des Lichtes gehen wir in die Nacht hinaus. Mit der Auferstehung Jesu Christi heben wir in dieser Nacht unsere Hoffnung aus der Taufe, die Welt zum Besseren zu gestalten. Wir loben den, der uns zu neuem Leben einlädt, für den wir unser gewohntes Leben verlassen und ganz neu anfangen wollen. Auf unserem Weg und in unseren Herzen strahlt das Licht Christi: "denn geschwunden ist allerorten das Dunkel."(Exsultet; in Korrespondenz zu Gen 1)

Wir tragen das österliche Licht mit uns. Von Ostern her können wir es wagen, inmitten des Alltags uns immer wieder von seiner Helligkeit beschenken zu lassen: Lumen Christi – Deo gratias. Amen.

Dr. Robert Zollitsch
Erzbischof von Freiburg
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz