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Predigt von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch zu Allerheiligen 2009 im Freiburger Münster

"Bittet und ihr werdet empfangen" (Joh 16,24)

30 Tage Gebetsinitiative um Berufungen

Lesungen: Offb 7,2-4.9.14 und 1Joh 3,1-3

Evangelium: Mt 5,1-12a

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!


Ein eindrucksvolles Bild stellt uns die Lesung aus der Offenbarung des Johannes, die wir soeben gehört haben, vor Augen: "Eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen" (Offb 7,9), so schildert der Seher Johannes jene, die vor dem Thron Gottes und vor dem Lamm stehen. Es ist eine faszinierende Darstellung der Vielen, die in ihrem Leben Jesus nachgefolgt sind und die Krone des Lebens erlangt haben. Es ist die Vision von der Vollendung bei Gott, die sich nicht ein Mensch ausgedacht hat, sondern die Gott uns schenkt. Das ist nicht menschliche Hypothese oder Wunschvorstellung; das ist Gottes Prognose und Vorausschau.


Mit all dieser großen Schar aus allen Nationen dürfen wir uns heute, am Fest Allerheiligen, in besonderer Weise verbinden. Darin wird unsere Gemeinschaft erfahrbar, die über den Tod hinaus reicht. Papst Benedikt bringt es auf den Punkt, indem er bei seiner Amtseinführung vor vier Jahren herausstellte: "Wer glaubt, ist nie allein - im Leben nicht und auch im Sterben nicht". Denn in unserem Glauben stehen wir nicht nur in der Gemeinschaft derer, die mit uns hier auf dem Weg sind und dem Wort Jesu vertrauen. Wir stehen auch in der Gemeinschaft mit all jenen, die diesen Weg vollendet haben und für immer bei Gott zu Hause sind. Wer glaubt, ist nie allein: nicht nur hier auf Erden, sondern auch nicht in der Gemeinschaft des Himmels.

Darum gehört das, was wir heute feiern, nicht in den Bereich der Spekulationen, sondern es gehört zu unserem Glaubensbekenntnis. Sooft wir sprechen: "Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen", bekennen wir uns dazu, dass wir mit diesem großartigen Finale rechnen dürfen: nicht der Tod, sondern Gott behält das letzte Wort. Er will nicht nur die Welt erlösen, er hat sie erlöst. Dafür steht das Fest aller Heiligen, mit denen wir in lebendiger Gemeinschaft stehen. Mehr denn je ruft uns gerade der heutige Festtag neu ins Bewusstsein: "Wer glaubt, ist nie allein".

Dieser Zuspruch Papst Benedikts ist weit mehr als nur ein aufmunterndes Wort. Er durchdringt das Leben der Kirche und betrifft deshalb auch den Grundvollzug unseres religiösen Lebens: das Beten. Wir können nicht leben, ohne zu atmen; und genauso wenig können wir glauben, ohne zu beten. Eines bedingt das andere. Das Gebet ist wie die Lebensenergie, die uns Glaubende durchströmt. Deshalb können wir auch mit Recht sagen: Wer betet, ist nie allein.


Liebe Schwestern, liebe Brüder,

diese Erfahrung machen wir stets neu, wenn wir uns zum Gottesdienst versammeln, miteinander im Gebet vereint sind. In den vergangenen 30 Tagen durften dies viele von uns besonders intensiv erfahren. Diese Tage standen unter dem Zeichen der Gebetsinitiative für Berufungen in unserer Kirche. Mit dem heutigen Tag erreicht diese Initiative ihren Höhepunkt: Wir verbinden uns mit dem Gebet und der Fürbitte aller Heiligen. Dankbar dürfen wir darauf zurückschauen, wie viele Männer und Frauen sich dieser Gebetsinitiative angeschlossen haben. Es war eine Gebetskette, die in unserer Diözese buchstäblich rund um die Uhr Tag und Nacht anhielt. Anstoß dazu war die Erinnerung an die Einführung des monatlichen Gebetstages für Geistliche Berufe, den der damalige Dompropst von Berlin, der selige Bernhard Lichtenberg, vor 75 Jahren initiiert hat. Mit diesem Ursprungsimpuls haben wir uns verbunden, heute, an Allerheiligen, weiten wir diese 30-tägige Gebetskette um geistliche Berufungen und rufen die Heiligen um ihr Mitbeten und ihre Fürbitte an.

Könnte es eine bessere Perspektive für diese Gebetsinitiative geben, als auf die unzähligen Menschen zu schauen, die in unserer Kirche vor uns ihrer Berufung entsprechend gelebt haben? Die mit uns in der "Gemeinschaft der Heiligen" verbunden sind und von deren Fürbitte wir uns stets begleitet wissen? Es ist ein großes Geschenk, dass wir in unserem Beten nicht nur auf uns angewiesen sind, sondern auch die Heiligen als Fürsprecher bei Gott wissen. Und so wie sie ihre Berufung als Christen, als geistliche Menschen, Männer und Frauen, gelebt haben, so laden sie uns dazu ein, es ihnen gleich zu tun und unserer eigenen Berufung zu entsprechen. Denn das brauchen wir in unseren Tagen so dringend: Menschen, die sich ganz Gott verschreiben; die sich mit Leib und Seele ihm zur Verfügung stellen. Die Heiligen zeigen uns, dass es sich lohnt, sich auf das Abenteuer mit Gott einzulassen, dass es eine Verheißung und Ermutigung für die Kirche und die Gesellschaft ist, wenn Menschen sich Gott zur Verfügung stellen. Deshalb dürfen wir nicht darin nachlassen, darum zu beten. Deshalb muss es uns über das 30-Tage-Gebet hinaus ein Anliegen bleiben, dass wir um geistliche Berufungen beten, dass wir darum beten, dass jeder und jede von uns seine Berufung als Christ entdeckt und neu buchstabiert!


Wir wissen natürlich darum, dass wir Berufungen nicht selbst machen können. Aber wir können sehr wohl auf die Kraft des Gebetes vertrauen. Wer betet, der zeigt, dass er seine Hoffnung auf Gott setzt! Das ist es, wozu uns der Herr selbst eingeladen hat. Wir dürfen auf seine Zusage bauen: "Amen, Amen, ich sage euch, was ihr vom Vater erbitten werdet, das wird er euch in meinem Namen gegeben ... Bittet, und ihr werdet empfangen" (Joh 16,23f).

Darüber hinaus gilt es aber auch, das uns Mögliche beizutragen, dieses Anliegen zu fördern. Wir können uns dafür einsetzen, dass etwa in unseren Familien, in unseren Seelsorgeeinheiten mit ihren Gemeinden eine Atmosphäre entsteht, in der jeder einzelne seine Berufung entdecken kann und in der auch Geistliche Berufe wachsen.

Wir können helfen, Berufungen zu wecken, und sie zu begleiten. Wir können einladen, aufmerksam zu sein und auf den Ruf Gottes zu hören.

Ganz bewusst möchte ich in diesem Zusammenhang die kirchliche Jugendarbeit herausheben, die ein hervorragender Ort ist, um der Frage der eigenen Berufung nachzugehen. Denn die jungen Menschen, die vor Berufsentscheidungen stehen, die fragen, wie sie später einmal leben wollen, haben das Recht, mit dem, was sie bewegt, in der kirchlichen Jugendarbeit ernst genommen zu werden. Im Slogan unserer Minis in der Erzdiözese Freiburg heißt es deshalb zu Recht: "Ministranten – mehr als Messdiener"! Darin wird die Selbstverpflichtung deutlich, dass bei den Ministranten auch Lebensfragen wie etwa die Frage nach der persönlichen Berufung aufgegriffen und angesprochen werden. Vieles wird in der Begleitung der Ministranten in diesem Sinne bereits getan, manches können wir noch weiter ausführen. Eines ist sicher: in unserer kirchlichen Jugendarbeit ist es ganz entscheidend, die Frage der Berufung wach zu halten, mit jungen Menschen darüber ins Gespräch zu kommen.

Ich erinnere etwa an den Jugendsonntag, der vor zehn Jahren unter dem Thema "b-online", Berufung-online stand; oder an besondere Angebote für Jugendliche im Jahr der Berufung. Daran können wir anknüpfen. Grundlegend ist dabei immer, dass die jungen Christen in unserer Jugendarbeit eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus aufbauen, wie dies etwa bei den Weltjugendtagen oder auch in Taizé geschieht. Dazu sind Erfahrungen im Gebet und in der Stille, die sie dort erleben können, entscheidend. Denn wenn wir wollen, dass Jugendliche ihre Berufung entdecken, die sie von Gott geschenkt bekommen haben, dann kann dies nur geschehen, indem wir ihnen ermöglichen zu lernen, auf das zu hören, was Gott ihnen an Impulsen gibt.


Liebe Schwestern und Brüder,

Die Stimme Gottes wahrzunehmen – eine Aufgabe, die gerade in unseren Tagen keineswegs leicht ist. Papst Benedikt formulierte es auf seiner Reise durch seine bayrische Heimat so: "Es gibt eine Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden. Wir können ihn einfach nicht mehr hören – zu viele andere Frequenzen haben wir im Ohr." Ja, das Überhören der Stimme Gottes hat fatale Auswirkungen. Die es verlernt haben, auf Gott zu hören, denen fällt es allzu oft genauso schwer, auf die Mitmenschen zu achten, die unsere Hilfe brauchen. Es ist kein Zufall, dass schon im Alten Testament die Frage nach der Gerechtigkeit stets mit der Frage nach Gott verbunden wird. Denn wer seinen Blick zu sehr auf das richtet, was er selbst zu leisten im Stande ist und was er dafür zu bekommen hat, der steht in Gefahr, diejenigen nicht wahrzunehmen, die ihn nicht weiterbringen, die aber seine Hilfe brauchen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, von Macher-Typen sind wir In Politik und Wirtschaft, aber auch in unserem Alltag begeistert und fasziniert. Wir finden es bemerkenswert, was sie alles leisten und wie sie unsere Umgebung oder unser Land auf Trab bringen. Wäre es aber nicht mindestens so wichtig, dass wir uns von einem Typ Mensch inspirieren lassen, der seine Stärke im Hören hat? Der nicht gleich loslegt und seine Arbeit in den Mittelpunkt stellt, sondern zuerst danach fragt, wie es anderen Menschen geht? Bräuchten wir nicht mehr Menschen, die fragen, was der Wille Gottes in ihrem Tun ist? Und nicht welche Vorteile es haben könnte, sich in einer bestimmten Sache zu engagieren? Wenn wir in das Leben der Heiligen schauen, dann können wir eines erkennen. Das waren Menschen, die Großartiges geleistet, die viel bewirkt haben. Das waren aber vor allem Hörende, die immer wieder in die Stille gegangen sind, die intensiv nach dem Willen Gottes gefragt und erst dann gehandelt haben. Menschen, die nicht auf ihren Vor-teil bedacht waren, sondern ihren An-teil dazu beigetragen haben, dass andere gut leben können.

Im Wort Berufung ist das Wort "Ruf" enthalten, weil es Gott ist, der uns ruft und auf unsere Antwort wartet. Bevor wir diese Antwort geben können, sind wir deshalb zuerst Hörende. Vergessen wir die Haltung des Hörens nicht und haben wir keine Angst vor der Stille! Darin liegt eine Kraft, die den Aktionismus unserer Tage weit übersteigt, weil sie hilft, auf das zu achten, was Gott für unser Leben gedacht hat und weil sie deshalb in uns Leben weckt.


Liebe Schwestern, liebe Brüder,

in diesem Sinne waren in den vergangenen 30 Tagen rund um die Uhr unzählige Gläubige in unserer Erzdiözese miteinander im Gebet zu Gott verbunden. Wir haben auf ihn gehört und ihm unsere Bitten vorgetragen. Über 3.500 Anmeldungen zu dieser Gebetskette sind allein bei unserer Diözesanstelle ‚Berufe der Kirche‘ eingegangen! Ich habe heute allen Grund dafür dankbar zu sein, dass sich so viele in unserem Bistum diesem Gebetsaufruf angeschlossen haben. Als Einzelne, als Gruppe aber auch als Gemeinde haben sie sich in diese Gebetskette eingefügt. Sie durften dabei tatsächlich erfahren: wer betet, ist nie allein. Es war nicht nur eine ununterbrochene Gebetskette, die sich durch diesen Monat gezogen hat; es war ebenso sehr eine große Gebetsgemeinschaft, das gemeinsame Anliegen, die sie verbunden hat, in dem Sie sich darüber hinaus verbunden wussten mit unseren Heiligen, unseren Fürsprechern bei Gott.

Mit dieser Gebetsinitiative haben wir ein "Zeichen der Hoffnung" gesetzt. Ja, wir rechnen tatsächlich mit Gottes Verheißung und Zusage. Wir sind bereit, auf sein Wort zu hören, auf seine Stimme zu achten und selbst tätig zu werden. Freilich, gilt von dieser Hoffnung aber auch, was der Apostel Paulus schreibt: "Hoffnung, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung ... Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld". (Röm 8,24f)

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

In Geduld ausharren heißt aber für uns, dass es heute mit dieser Gebetsinitiative keineswegs um einen Schlusspunkt, sondern um einen Doppelpunkt geht. Das, was uns in diesen 30 Tagen neu bewusst wurde und wofür wir uns engagiert haben, soll weiter mit Leben erfüllt und vertieft werden. In Geduld ausharren heißt, dass wir dieses Anliegen um Geistliche Berufe beharrlich vor Gott tragen. Um diese Beständigkeit und Ausdauer geht es, wenn wir an jedem 1. Donnerstag im Monat uns dieses Anliegen zueigen machen in unserem persönlichen Beten und im Gebet der Gemeinde. Lassen wir nicht nach, den Herrn der Ernte zu bitten, dass er Priester, Diakone, Ordensleute und pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in seine Ernte sende. Denn durch ihr Zeugnis kann und soll wiederum in vielen jungen Menschen das Verlangen, sich an Jesus Christus zu binden, geweckt werden.


Dr. Robert Zollitsch

Erzbischof von Freiburg


Es gilt das gesprochene Wort!