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Christliches Morgenlob in der Kathedrale St. Hedwig zu Berlin anlässlich der 13. Bundesversammlung

Einführung von Prälat Dr. Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe

Verehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrte Mitglieder der Bundesversammlung,
liebe Schwestern und Brüder!

Ich darf Sie alle ganz herzlich zum heutigen christlichen Morgenlob hier in der St. Hedwigskathedrale willkommen heißen.

Ganz besonders freue ich mich, dass einige unter Ihnen, die üblicherweise nicht über Arbeitsmangel klagen, gleich mehrfach in diesen Tagen an besonderen kirchlichen Ereignisse teilnehmen – sei es beim Evangelischen Kirchentag in Bremen, sei es gestern am Gottesdienst aus Anlass des Staatsaktes, den wir zum Geburtstag unsres Grundgesetzes gefeiert haben, sei es, dass Sie heute vor der Bundesversammlung den Weg zum Gottesdienst gefunden haben.

Bisweilen wird in unserer Zeit beklagt, dass christliches Engagement und Bekenntnis zum Glauben schwinden würden. Diese Tage belegen, dass zumindest Sie den Gegenbeweis dafür antreten.

Solche Zeichen praktizierten Glaubens sind ermutigend - auch für viele Menschen in unseren Gemeinden. Manchmal braucht es nicht das große Wort, die flammende Rede, um deutlich zu machen, wo man steht. Manchmal reicht, eine Aufmerksamkeit, eine Geste, das Stehen, die Aufrichtigkeit oder einfach auch nur das Dasein, Herzlichkeit und Menschenfreundlichkeit. Solche Haltungen können vom Geist Gottes und der Liebe inspiriert sein. Davon wird in der heutigen Lesung die Rede sein.

Die Liebe gehört zu den göttlichen Tugenden. Sie ist gleichsam die Grundtugend für alle anderen. Und unsere Demokratie braucht Tugenden. Sie sind für ein gedeihliches Miteinander erforderlich. Wir wollen ja nicht alle gewünschten Verhaltensweisen des Bürgers gesetzlich reglementieren und erzwingen.
Auch, wer ein Amt in der Demokratie übernimmt braucht Tugenden - und nicht nur diejenigen. Alle, die in besonderer Weise in Wirtschaft und Gesellschaft, in Kirche und Politik, in Sport und Medien, in Justiz und Verwaltung Verantwortung tragen, müssen tugendhaft sein. Da ist unsere Gesellschaft, Gott sei Dank, höchst sensibel.

Mit der Bereitschaft für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, lässt sich jeder der Kandidaten in die Pflicht nehmen. Unser Gemeinwesen, unsere Demokratie, unser Grundgesetz leben vom bürgerschaftlichem Engagement. Die Bereitschaft, ein öffentliches Amt anzustreben, die Möglichkeit, eine Nichtwahl in Kauf zu nehmen, die Stärke, Gegenstand öffentlicher Debatten zu sein, gehören zu den Wesensmerkmalen demokratischer Ämter. Sie, verehrte Kandidaten stehen heute für die vielen Menschen in unserem Lande, die bereit sind in Europa, im Bund, in den Ländern, den Kreisen, den Städten und Gemeinden ein Mandat zu übernehmen. Und sie stehen für die vielen, die sich meist ehrenamtlich für andere einsetzen und in den demokratischen Wettstreit treten.

Öffentliche Ämter stehen unter öffentlicher Beobachtung und verlangen nach Persönlichkeiten, die bereit sind, Vorbildfunktionen zu übernehmen. Ihr Lebenszeugnis motiviert Menschen es, Ihnen nach zu tun. Wenn wir heute oftmals beklagen, dass nicht mehr genügend Menschen bereit sind, öffentliche Ämter zu übernehmen, dann ist das Anlass zur Sorge und zur Selbstkritik. Ist das Ansehen solcher Aufgaben zu gering? Ist die zeitliche Belastung zu groß, die Politikern und Politikerinnen abverlangt wird? Oder wirkt die Art und Weise, wie politische Ämter ausgeübt werden, abstoßend? Was kann ein jeder von uns tun, um das Ansehen der Politikerinnen und Politiker in unserem Land zu verbessern? Was können wir – auch wir Kirchen – daran tun, dass Menschen sich für unsere parlamentarische Demokratie begeistern und mittun?

Die Kirchen werden oft als Wertelieferant für unsere Gesellschaft betrachtet. Gerne lassen wir uns auch da in die Pflicht nehmen, allerdings ist unser Anspruch darüber hinaus noch ein anderer. Wir wollen das Evangelium verkünden, damit – wie es in der Lesung heißt - der Glaube in unseren Herzen wohne. Der Glaube ist ja mehr als ein Wertelieferant, der Glaube ist Sinnstiftung. Im Glauben bekommt unser Leben ein Ziel, nämlich Gott in seiner Fülle zu erkennen. Er kann in uns unendlich viel mehr tun, als wir erbitten und uns ausdenken – so sagt der Apostel Paulus im Epheserbrief. Deshalb wollen wir uns in diesem Morgenlob Gott anvertrauen - mit unseren Sorgen und Nöten, mit den persönlichen, wie denen unseres ganzen Volkes.

Wir wollen Ihn auch bitten, dass Sie die Mitglieder der Bundesversammlung gemäß dem Geist Gottes zu einem fairem Wettstreit befähigt sein mögen, dass er Sie, die Kandidaten bestärke Sieg oder Niederlage anzunehmen, und dass diese Tage des Feierns aus Dankbarkeit für unserer Grundgesetz uns ermutigen, beherzt die aktuellen Herausforderungen anzunehmen und zu bestehen.