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Empirische Studien zum Religionsunterricht

INFO 3:
Empirische Untersuchungen haben die Diskussion um den Religionsunterricht seit den 60er Jahren nachhaltig beeinflusst. Damals stieg die Zahl der Schüler, die sich vom Religionsunterricht abmeldeten, sprunghaft an. So verließen an den öffentlichen Schulen Niedersachsens bis zu 40% der Schüler den Religionsunterricht, andere Bundesländer verzeichneten ähnlich hohe Abmeldezahlen. In Untersuchungen zur Beliebtheit von Schulfächern [vgl. Marplan (1967), Seelig (1968)] landete der Religionsunterricht auf einem der hinteren Plätze.
In dieser Situation forderte Wegenast (1968) eine empirische Wende der Religionspädagogik, um auf der Grundlage einer realistischen Situationsanalyse didaktische und methodische Verbesserungsvorschläge machen zu können. Pionierarbeit auf dem Gebiet der empirischen Erforschung des Religionsunterrichts leisteten Prawdzik (1973) und Havers (1972). Havers untersuchte eine homogene Stichprobe von Jungen des 10. Jahrgangs an Münchener Gymnasien und wertete 282 Fragebögen aus. Die Ergebnisse rechtfertigten den Untertitel der Monographie: "Analyse eines unbeliebten Fachs". 68% der katholischen Schüler meinten: "Der Religionsunterricht ist verlorene Zeit." Prawdzik befragte 800 Hauptschüler des 9. Jahrgangs und kam zu einem günstigeren Ergebnis: 43% bejahten, dass der Religionsunterricht beliebt sei. Dabei ist die Lehrperson "der entscheidende Faktor für die Einstellung zum jeweils konkreten RU" (227). Diese Beobachtung machte auch Havers (207).
Die empirischen Befunde blieben nicht folgenlos. Der Beschluss der (katholischen) Würzburger Synode "Der Religionsunterricht in der Schule" (1974) stellte das Fach auf eine neue Grundlage. Die neueren Erkenntnisse der Erziehungswissenschaften fanden Eingang in Didaktik und Methodik des Fachs, vor allem aber sollten Glaube und Schülerwirklichkeit stärker aufeinander bezogen werden: "Der Glaube soll im Kontext des Lebens vollziehbar, und das Leben soll im Lichte des Glaubens verstehbar werden." Der Neuorientierung blieb der Erfolg nicht versagt: Die Abmeldezahlen gingen in den folgenden Jahren kontinuierlich zurück. Sie liegen heute im Durchschnitt bei 3 %.
1982 veröffentlichte Feige Ergebnisse einer Befragung von 1765 Jugendlichen (zwischen 17 und 22 Jahre alt) über ihre Erfahrungen mit Kirche. In Bezug auf den Religionsunterricht konstatierte er "eine unproblematische Akzeptanz (...) bei mindestens 50% der Befragten" (32). Gestützt auf die Shell-Studie "Jugend `95" zeichnete Lämmermann (1987) jedoch ein halbes Jahrzehnt später wieder ein düstereres Bild. Die Entwertung des Religionsunterrichts schreite weiter fort. In der Liste der beliebtesten Fächer werde er auf den vorletzten Platz verwiesen (116). Große Beachtung fand eine Studie des Allensbacher Instituts für Demoskopie, an der Köcher (1989) federführend mitwirkte. Neben Religionslehrern wurden 1094 Schüler im Alter von 14 bis 20 Jahren befragt. Köcher stellte ein allgemeines Desinteresse der Schüler am Religionsunterricht und Tendenzen der Säkularisierung in Bezug auf seine Inhalte fest. Religiöse Inhalte träten zugunsten von Lebenshilfe und der Thematisierung existentieller Erfahrungen zurück. Der Religionsunterricht sei schließlich ein "Fach ohne besondere Anforderungen" (37). Empirischer Befund und Interpretation blieben jedoch in der religionssoziologischen und -pädagogischen Diskussion heftig umstritten (vgl. Religionspädagogische Beiträge 25).
In den 90er Jahren erschienen mehrere regionale Studien zum Religionsunterricht mit teilweise divergierenden Ergebnissen. Während Barnikol (1992) in seiner Ruhrgebietsstudie feststellte, dass die Unbeliebtheit des Faches bzw. das Desinteresse an ihm seit Beginn der 70er Jahre gestiegen sei, konstatierte Ritter (1994) für Oberfranken "Gute Noten für den Religionsunterricht". 55,5% der Befragten gaben dem Fach die Note "gut" oder "sehr gut". Zu demselben Urteil kam auch Stolz (1994). Hanisch & Pollack (1997) untersuchten die Akzeptanz des Faches in drei Städten (Auerbach, Borna und Leipzig) in den östlichen Bundesländern und ermittelten eine hohe Beliebtheit des neuen Fachs. 82% besuchen den Unterricht "gerne". Ein Jahr zuvor hatte Bucher (1996) eine repräsentative Studie für Österreich vorgelegt. Er stellt fest, dass die Akzeptanz des Faches seit den 60er Jahren gestiegen sei, die Beliebtheit des Faches jedoch mit zunehmendem Alter sinke. Die jüngste Studie zum Religionsunterricht an Grundschulen legten 1999 Englert & Güth vor.
Die Ergebnisse von regionalen Erhebungen mit unterschiedlicher Methodik können naturgemäß nicht für das Bundesgebiet hochgerechnet werden. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen in Oberbayern, Frankfurt, Hannover oder Dresden Religionsunterricht erteilt werden. Auch sind die österreichischen Ergebnisse nicht unbedingt auf ein multikonfessionelles Land mit einer hohen Zahl von Konfessionslosen zu übertragen. Eine repräsentative Studie zum Religionsunterricht in Deutschland fehlt bislang. Die neue Studie von Anton Bucher will diese Lücke schließen.
Literatur (Auswahl):
Barnikol, H.M. (1992): Schülereinstellungen zur Beliebtheit des Religionsunterrichts in der Sekundarstufe I, in: Zeitschrift für christliche Erziehung und Kultur, Heft 3, 15-20.
Bucher, A. (1996): Religionsunterricht: Besser als sein Ruf?. Empirische Einblicke in ein umstrittenes Fach, Innsbruck-Wien.
Englert, R .& Güth, R. (1999): "Kinder zum Nachdenken bringen." Eine empirische Untersuchung zu Situation und Profil des katholischen Religionsunterrichts an Grundschulen, Stuttgart.
Feige, A. (1982): Erfahrungen mit Kirche. Daten und Analysen einer empirischen Untersuchung über Beziehungen und Einstellungen junger Erwachsener zur Kirche, Braunschweig.
Hanisch, H. & Pollack, D. (1997): Religion - ein neues Schulfach. Eine empirische Untersuchung zum religiösen Umfeld und zur Akzeptanz des Religionsunterrichts aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern in den neuen Bundesländern, Stuttgart.
Havers, N. (1972): Der Religionsunterricht. Analyse eines unbeliebten Faches. Eine empirische Untersuchung, München.
Jörns, K.P. (1997): Die neuen Gesichter Gottes. Was die Menschen wirklich glauben, München.
Köcher, R. (1989): Religionsunterricht - zwei Perspektiven, in: Religionsunterricht. Aktuelle Situation und Entwicklungsperspektiven, hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Arbeitshilfen 73), Bonn, 22-59.
Lämmermann, G. (1987): "Jung sein heißt, auf der Suche sein ..." Beobachtungen zu empirischen Untersuchungen über die Beziehung der Jugend zu Religion und Kirche, in: R. Hanusch/ G. Lammermann (Hg.), Jugend in der Kirche zur Sprache bringen, München, 111-124.
Marplan (1967): Aufarbeitung und Analyse von Ergebnissen aus der Basisstudie zur Situation der Jugend in Deutschland, Bonn: Bundesministerium für Familie und Jugend.
Prawdzik, W. (1973): Der Religionsunterricht im Urteil der Hauptschüler. Eine empirische Untersuchung auf der 9. Klasse Hauptschule in München, Zürich-Köln.
Seelig, G.F. (1968): Beliebtheit von Schulfächern. Empirische Untersuchung über psychologische Zusammenhänge von Schulfachbevorzugungen, Weinheim.
Stolz, G.E. (1994): Einstellungen von Schülerinnen und Schülern zum evangelischen Religionsunterricht, in: Ders. & B. Schwarz (Hg.), Schule und Unterricht, Frankfurt/M., 119-141.
Wegenast, K. (1968): Die empirische Wendung in der Religionspädagogik, in: Der Evangelische Erzieher 20, 111-124.

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