| Pressemeldung | Nr. 025a

Die Katholische Schule als missionarischer Ort

Eröffnungsrede von Dr. Eckhard Nordhofen, Leiter der Zentralstelle Bildung der Deutschen Bischofskonferenz auf dem II. Bundeskongress Katholischer Schulen am 11. Mai 2001 in Bonn

Es gilt das gesprochene Wort
Einleitung
Nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, auch in allen Industrieländern erleben wir derzeit die Hochkonjunktur einer bildungspolitischen Generaldebatte. Zwar wird in regelmäßigen Abständen immer wieder einmal die große Bildungsreform gefordert oder wie in den sechziger und siebziger Jahren der "Bildungsnotstand" ausgerufen, so dass man in Versuchung ist, solche Konjunkturen als Modeerscheinung abzutun. Diesmal aber gibt es sehr handfeste und objektivierbare Gründe, über das Bildungssystem als Ganzes und über seine einzelnen Sektoren nachzudenken.
Dieser zweite große Bildungskongress der katholischen Schulen soll einen Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten: Welchen Platz haben in dieser Landschaft die katholischen Schulen, was ist das Besondere an ihnen? Wo können wir von ihnen etwas erwarten, was man anderenorts nicht bekommt? Und was könnte das sein, was wir als Christen, als Katholiken, von ihnen erhoffen?
Wenden wir uns zunächst einmal der Frage zu, was die laufende große Bildungsdebatte, wie wir sie etwa im "Forum Bildung" der Bund-Länder-Kommission führen, antreibt. Die Antwort fällt nicht schwer: Die Wirtschaft hat das Wissen und die Bildung als Ressource entdeckt. All die großen Kongresse und Grundsatzpapiere, die meisten Talkshows, die es zu diesem Thema gibt, überraschen uns mit der Mitteilung, dass die Bundesrepublik nicht allzu viele Bodenschätze besitzt, dass wir im globalen Wettbewerb stehen, und dass wir einen Wettbewerbsvorteil und einen Vorsprung nur von der Qualität unserer Ausbildung erhoffen können.
So wird es Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen mitteile, dass in der ersten Sitzung des "Forums Bildung", in das ich als Vertreter der beiden Kirchen entsandt war, der Auftrag so formuliert wurde: "Wie kann die Leistung des Ausbildungssystems für das Beschäftigungssystem verbessert werden? Wie kann das 'Humankapital' besser ausgeschöpft, konditioniert und genutzt werden?"
An dieser Stelle habe ich mich sehr rasch mit meinem Kollegen im Kirchenamt der EKD in Hannover darauf verständigen können, dass beide Kirchen gemeinsam ihre Stimme erheben, um einen eigenständigen Beitrag zur Bildungsreform zu leisten, der gar nicht einmal wirtschaftsfeindlich sein sollte, sondern der den bekannten Werbespruch der Wirtschaftslobbyisten einmal ernst nähme, der da lautet: "Die Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts". In der Tat kann man zugeben, dass das Wirtschaftsgeschehen trivialerweise eine entscheidende Voraussetzung des guten Lebens ist. Die Wirtschaft ist nicht der altböse Feind und ein reflexartiger Antikapitalismus ist weder fromm noch weise. Uns interessierte der erste Teil des Satzes: "Die Wirtschaft ist nicht alles". In der Tat stellte sich die Frage immer dringender, wo sind die Lebensräume, die Wertsysteme, die Umgangsformen, die noch frei sind vom Tauschprinzip und vom Funktionalismus der Ökonomie? Nicht immer merken wir, wie das marktförmige Denken in unserem Bewusstsein expandiert. Schon wer sagt: "Was bringt mir das?" oder "Was hab' ich davon?" denkt in den Kategorien des Äquivalententauschs.
Wir haben dann am 16. November des vergangenen Jahres im Französischen Dom zu Berlin einen gemeinsamen Kongress "Tempi - Bildung im Zeitalter der Beschleunigung" veranstaltet. Die Rede von Leo O'Donovan und die "Zehn Thesen", die gleichsam eine Essenz dieser Überlegungen darstellen, sind seitdem so etwas wie die gemeinsame christliche Plattform, auf die sich immer mehr Menschen stellen, die, ohne die Wirtschaft, ihre Sachzwänge und Gesetzlichkeiten zu bestreiten, die Frage nach dem Außerhalb des Funktionalismus stellen, etwa die Frage, ob nicht tatsächlich Bildung mehr ist als eine Konditionierung für das Beschäftigungssystem.
Leo J. O'Donovan glaubt, dass diese Frage nach dem Außerhalb des Funktionalismus mit dramatischer Dringlichkeit gestellt werden muss. In der 6. These heißt es: "Das klassische Feld der Ökonomie beschränkte sich auf Warenverkehr und Dienstleistungen. Immer mehr kommt es zu Übersprungeffekten, die nahezu alle Lebensbereiche erfassen. Der Gegensatz von Arbeit und Feierabend verschwimmt. Tourismus, Freizeit und Unterhaltung sind industrialisiert. Sport, Kultur und Kunstbetrieb sind kommerzialisiert. Selbst in die Privatsphäre dringt die funktionalistische Frage ein: Was habe ich davon? Es droht eine Kolonialisierung und Industrialisierung der Lebenswelt als ganzer. Nun steht die Industrialisierung der Bildungsinstitutionen auf der Tagesordnung".
Leo J. O'Donovan's Antwort hat viele verblüfft. Auf die Frage nach dem Außerhalb des Funktionalismus ruft er nichts weniger und nichts anderes auf als unsere Gottestradition. Dabei geht es ihm nicht um irgendeine offene Form von Religiosität, um kosmotheistische Antworten, wie sie derzeit im intellektuellen Milieu wieder einmal aufsprießen. Ihm geht es vielmehr um das präzise Gotteskonzept der monotheistischen Revolution und der jüdischen Aufklärung.
Das alte Israel hatte erkannt, dass die Götter des alten Kanaan wie überhaupt alle polytheistischen Götter funktionale Gottheiten waren. Sie waren entweder die Projektion eines kollektiven Ego oder himmlische Adressen, an die man sich wendete, wenn man bestimmte Interessen verfolgte und die Hilfe oder die Verschonung der höheren Mächte erflehte. Die Götter sind selbstgemacht, das lesen wir sehr deutlich bei Jesaja, sie sind die Verlängerung menschlicher Bedürfnisse und daher nicht wirklich ein echtes Gegenüber des Menschen, sie sind daher ein Nichts. Der ganz andere Gott ist ein wirkliches Gegenkonzept. Seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken und seine Wege sind nicht unsere Wege. Zwar dürfen wir mit Jesus beten "Dein Wille geschehe" und wir sind bestrebt, uns in die Spur Gottes einzufädeln, aber wir sind "Statuen Gottes", so übersetzt der Exeget Norbert Lohfink das hebräische "Selem", wo die Einheitsübersetzung vom Abbild Gottes spricht, als welches der Mensch, Mann und Frau, geschaffen und gesegnet sind. Selem, das Abbild, die Statue, ist zweifellos weniger als das Urbild. Der Mensch, so heißt es dann im 2. Schöpfungsbericht, ist vom Atem Gottes beseelt, er darf dem Schöpfer zur Seite stehen und den Tieren Namen geben, aber er darf nicht sein wollen wie Er, die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen ist ihm verboten. Diesen ganz anderen, oft rätselhaften Gott zu lieben, in seiner Spur zu gehen und seine Nähe zu suchen, das ist der Vorschlag des Auferstandenen und die Botschaft der Auferstehung ist das Kreuz vor der Klammer unseres Lebens, das positive Vorzeichen, das alle negativen Werte in der Klammer regiert. Wenn die Analyse Leo J. O'Donovan's - und er steht mit dieser Befürchtung nicht allein - stimmt, dass uns wegen der Übersprungeffekte des marktförmigen Denkens in alle anderen Lebensbereiche ein totalitärer Funktionalismus droht, dann ist die Botschaft von dem ganz anderen Gott, der mehr ist als die Projektion unserer Bedürfnisse und Wünsche, von einer befeuernden Aktualität.
Was heißt das für die katholischen Schulen? Sollen sie eine Gegenwelt zur bösen Außenwelt des totalitären Ökonomismus werden? Sollen sie klösterliche Inseln im Meer des Funktionalismus sein? Verharren wir einen Moment bei diesem Gedanken, nach dem Schulen etwas mit Klöstern gemeinsam haben. Dass tatsächlich die Klöster eine Keimzelle der Schule in unserem Kulturkreis gewesen sind, mag schon als ein wichtiger Hinweis gelten. Scholé, das griechische Wort, von dem unser "Schule" abstammt, heißt ursprünglich Muße und bezeichnet den Zeitraum, in dem man sich aufhält, wenn die Arbeit des Tages verrichtet ist. Einem Schüler, der gerade über eine Arbeit, einer Klassenarbeit oder einer Hausarbeit, stöhnt, wird ein gewisser Bedeutungswandel des Wortes Schule gewiss auffallen. Das spätantike Mönchtum und später die Klöster verdanken sich einer Flucht aus der Dekadenz der Städte und dem Antrieb, ein ideales christliches Leben außerhalb der Normalität zu führen. Das neutestamentliche Wort, nach dem wir zwar in der Welt sind, aber nicht von dieser Welt sein sollen, ist hier auf eine vielleicht einseitige Weise befolgt worden, indem man aus der lauten Welt der Zivilisation und der Städte flieht und eine Gegenwelt erschafft. Interessant sind die Folgen dieser Weltflucht, die ja nicht dazu führt, dass die Welt wirklich verlassen wird, denn wir haben nur eine Welt, aus der wir in diesem Leben jedenfalls nicht so einfach aussteigen können. Das alternative Leben der Klöster hat immer Folgen für die Umwelt gehabt, und zwar außerordentlich segensreiche. Klöster waren Zentren von Kultur und Wissenschaft, von ihnen gingen entscheidende Bildungsimpulse aus, aber sie haben auch Schrittmacherdienste in Gartenbau und Viehzucht und auf vielen Gebieten des praktischen Lebens geleistet.
Was lernen wir daraus? Selbst wenn man sich auf rein innerweltliche Interessen konzentriert, ist es außerordentlich nützlich, Leo J. O'Donovan würde mit Thomas Mann sagen "übernützlich", den Standpunkt und die Perspektive zu wechseln. In der Welt zu sein, aber nicht von der Welt zu sein. Diese Figur des Drinnen und Draußen zugleich, dieses Abstandhalten vom Nutzenkalkül und von dem, was funktional beherrscht werden kann, das ist das, was Erik Peterson und seitdem viele andere Theologen den "eschatologischen Vorbehalt" genannt hat. Es ist genau jenes "nicht alles", das den Totalitarismus verhindert. Gott verhindert den Systemschluss. Gott macht einen Vorbehalt, die Eschata, die letzten Dinge gehören ihm. Im Alten Testament wird dafür das Zeitzeichen Gottes, der große Sabbat installiert. Eine Zeit, in der nicht gearbeitet werden soll, in der kein Nutzen verfolgt wird, jedenfalls nicht der, bei dem wir selbstgesetzte Ziele verfolgen. Es ist der Tag des Herrn, die sinnfällige Darstellung dafür, dass es mitten in der realen Welt, mitten im Kontinuum unserer Echtzeit eine Aussparung gibt, die uns darüber belehrt, dass uns nicht alles gehört, dass wir nicht alles machen sollen und nicht alles machen können.
Dies ist in kurzen Worten die Botschaft der Tempi-Thesen, die Sie hoffentlich alle schon besitzen, wenn nicht - wir haben einige Exemplare mitgebracht, wenn sie nicht reichen, kann man sie über die Zentralstelle Bildung der Deutschen Bischofskonferenz immer beziehen, ebenso wie die Originalrede von Leo J. O'Donovan, die auch in den "Stimmen der Zeit" erschienen ist und natürlich auch im Internet zu finden ist.
Jetzt fällt uns die Beantwortung der Frage nicht mehr allzu schwer, was das Missionarische an der katholischen Schule sein könnte. Zunächst einmal werden alle erleichtert sein, die die katholischen Schulen vor allem deswegen ansteuern, weil sie einfach eine gute Schule suchen. Selbstverständlich werden katholische Schulen weiterhin alles tun, um die Kinder und Jugendlichen für ihr späteres Berufsleben zu ertüchtigen. Insofern müssen wir mit den Wirtschaftslobbyisten, die für die Zukunfts- und Wissensgesellschaft die Humanressource optimieren wollen, gar keinen Krach anfangen. Aber dabei darf es nicht bleiben. Die katholischen Schulen müssen gerade in einer Zeit des totalitären Funktionalismus jene andere, jene alteritäre Perspektive, die Sicht von außen, nennen wir es einmal vielleicht etwas hochtrabend den "eschatologischen Blick" einüben. Der eschatologische Blick ist ein Blick, der nicht nur versucht, sich in die Gottesperspektive zu begeben, der Versuch ist nicht strafbar, nämlich dann nicht, wenn wir die Perspektive nicht mit Gottes Besitz verwechseln, der eschatologische Blick sucht vielmehr das Gesicht der anderen Menschen, vor allen Dingen dann, wenn diese uns brauchen.
Im vergangenen Jahr haben wir bei einer großen Fachtagung das Projekt "Compassion" vorgestellt und wir sind froh, dass dieses in die pädagogische Praxis nachhaltig integrierte Sozialpraktikum so viele Interessenten und Nachahmer gefunden hat. Eine katholische Schule wird eine Schule sein, die das Mitmachen genauso einübt wie das Nichtmitmachen. Die Ökonomisierung und Industrialisierung der Freizeit und Jugendkultur, die Unterhaltungsindustrie hat zu massiven Deformationen geführt. Die Antwort der katholischen Schulen wird gewiss nicht spaßverderberisch sein. Die Weltflucht ist nicht ihr Rezept. Sie wird aber phantasievolle Alternativen entwickeln, sie wird den reflexiven, den himmlischen Sabbatblick einüben und Formen des Jugendlebens ausprobieren, die einfach anders sind, so wie es unsere großen Vorbilder aus der großen Geschichte, die wir Evangelium nennen, auch gewesen sind. Für diese große Geschichte und für dieses Alternativkonzept, dieses Drinnen-und-Draußen-zugleich zu werben, das kann man Mission nennen. Der andere offene Blick, die Immunisierungen gegen die totalitären Versuchungen, wie immer sie auch ausfallen, das macht die Schule zum missionarischen Ort. Das Wort "Mission" ist nach einer Neubesinnung wieder leuchtend geworden. Wer denkt da noch an die bärtigen Männer im Tropenhelm, die im Zeitalter der Kolonien die Heiden bekehrten. Natürlich würden wir sie nicht lächerlich machen. Sie, die unter großen Opfern und oft unter Verlust ihres Lebens dafür gesorgt haben, dass wir heute in einer Weltkirche leben, die uns beglückende Erfahrungen ermöglicht. Wenn wir mit Vertretern aus anderen Kontinenten, die dort katholische Schulen oft unter schwierigsten Bedingungen betreiben, zusammenkommen, dann füllt sich der blasse Begriff Weltkirche mit Gesichtern und Bildern und Geschichten. Viele katholische Schulen haben Partner in anderen Ländern, pflegen den Austausch und weiten so ihren Horizont. Mission gehört sehr eng zu den Überlegungen, die uns ins Zentrum der monotheistischen Aufklärung geführt haben. Wenn ein Gott kein selbstgemachter Gott ist, kein Gott der Bedürfnisbefriedigung, sondern einer, der gerade durch seine Andersartigkeit die selbstgemachten menschlichen Systeme, die zum Systemschluss und damit zum Totalitarismus neigen, aufbricht, dann wird verständlich, dass wir uns offen halten müssen für seine Stimme, die uns sendet. Und genau dies heißt das Wort "Missio". Die große Geschichte von dieser Sendung, das Evangelium, hat seinen Heimatort dort, wo sich die christlichen Gemeinden versammeln.
Heute wollen wir auch einmal den Blick dorthin richten. Zu den Ideen der Reformpädagogik, die unsere Bildungsreformdebatte bestimmen, gehört auch die Idee, den Binnenraum der Schule zu verlassen, an außerschulische Lernorte zu gehen und dort Erfahrungen zu machen. Katholische Schulen sind natürlich dann alle anderen Schauplätze christlichen Lebens, die Wallfahrtswege, die Kirchen, die Friedhöfe, die Altenheime, die Sozialstationen gleichsam magnetische Orte. Die Signale, die von dort ausgehen, könnten auf missionarisch gestimmte Ohren, auf Ohren, die empfangen, wo etwas gesendet wird, treffen. Wir werden heute zunächst mit großer Erwartung die Ausführungen von Ihnen, sehr verehrter Herr Kardinal Schönborn, hören. Österreich und Ihre Erzdiözese Wien ist für uns irgendwie das nächste Ausland. Wenn ich mich mit Ihnen, Frau Dr. Mann, der Leiterin der Schulabteilung in Wien unterhalte, dann stellen wir immer sehr viele Gemeinsamkeiten fest, aber immer auch eine Reihe interessanter Differenzen. In Österreich ist gewiss nicht alles anders, aber doch manches. Gerade das macht Sie für uns so interessant. Sehr verehrter Herr Kardinal, Sie sind, was singulär ist, Vorsitzender der österreichischen Bischofskonferenz und Schulbischof zugleich. Dies unterstreicht die besondere Wichtigkeit, die Sie den Fragen von Bildung und Schule, die uns gemeinsam umtreiben, zumessen. Wir sind sehr gespannt auf Ihre Ausführungen.

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